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Unterwegs auf dem letzten Abschnitt des Jakobswegs

10.02. - 21.02.2006

Für den Februar 2006 hatte ich einen Billigflug nach Porto ergattert (29 EUR jeweils für Hin- und Rückflug ab München mit Air Berlin), und dabei bot es sich an, auch einmal beim Jakobsweg vorbeizuschauen, nachdem es in den Reiseabteilungen der Buchhandlungen immer mehr Literatur dazu gibt, was auf zunehmende Nachfrage schließen lässt. Bei der Reisevorbereitung habe ich festgestellt, dass zum Übernachten in den Pilgerherbergen und zur Bestätigung der Wallfahrt ein Pilgerausweis, genannt Beglaubigungsschreiben (span.Credencial), erforderlich ist. Bei spanischen Pfarrämtern gibt es diesen umsonst; in Deutschland kümmern sich die Jakobusgesellschaften gegen eine Gebühr von etwa 5 EUR um die Ausstellung; das dauert dann etwa drei Wochen. Beim Antrag muss man die Fragen nach dem Anlass der Reise - religiös, sportlich oder kulturell - mehr oder weniger ernsthaft beantwortet. Wie mir berichtet wurde, verlangt die Deutsche Jakobusgesellschaft in Aachen ein Empfehlungsschreiben einer Pfarrei oder einer öffentlichen Institution. Auf solchen Bürokratismus hat die Schwäbische Jakobusgesellschaft mit Sitz in Oberdischingen, bei der ich meinen Pilgerausweis beantragt habe, erfreulicherweise verzichtet.


Als die Wanderung beginnen sollte, wurde das bisher sehr schöne Wetter zunehmend regnerisch. Damit war zu rechnen, denn Galizien, der nördlich von Portugal gelegene Landesteil von Spanien, gehört dort zu den regenreichsten Gebieten, und sogar im Sommer ist die Hälfte der Tage verregnet. Galizien ist mit knapp 30000 Quadratkilometern fast so groß wie Belgien und umfasst die vier Provinzen Lugo, Ourense, A Coruña und Pontevedra; in dieser Provinz liegt auch die größte Stadt, Vigo, mit etwa 300000 Einwohnern. Der Sitz der Regionalregierung (genannt Xunta - gesprochen: Schunta; auch im Deutschen kennt man den Begriff "Militärjunta") befindet sich in Santiago de Compostela, welches in der Provinz von A Coruña liegt. Als "Santiago" wird im Spanischen der Heilige Jakob bezeichnet; der Zusatz "Compostela" bedeutet "Campus Stellae", also "Sternenfeld". - Das Spanische dient in Galizien nur als Zweitsprache. Der Internetauftritt der Stadt Santiago de Compostela erfolgt auf galizisch, mit Verweis auf anderssprachige Versionen, darunter eine spanische und auch eine deutsche. Überall wird Galizisch verwendet, und auch die Schreibweise der Ortsnamen wurde umgestellt, z.B. von La Coruña auf A Coruña oder von Orense auf Ourense (was an der Aussprache nichts ändert). Das Galizische ist viel eher mit dem Portugiesischen als mit dem Spanischen verwandt; das Portugiesische hat sich aus einem galizischen Dialekt entwickelt.

Wegen dem unsicheren Wetter habe ich mich also auf den kürzestmöglichen Abschnitt des Jakobswegs beschränkt und bin nach Sarría in der Provinz Lugo gereist. Sarría ist der Ort, der gerade jenseits der für den Erwerb der Compostela geforderten 100 km Fußmarsch von Santiago de Compostela entfernt liegt und sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen lässt. Allerdings kaum mit der Bahn; es fahren nur zwei Regionalzüge täglich, mit unmöglichen Umsteigezeiten im weiter südlich gelegenen Knotenpunkt Monforte de Lemos. - In Sarría habe ich am 14.02. nachmittags meine Pilgerwanderung begonnen. Nach etwa 25 km konnte ich in einer Pilgerherberge in Portomarín übernachten. In Galizien werden die Pilgerherbergen von der Provinzregierung unterhalten, und die Übernachtungen sind kostenlos. In anderen spanischen Regionen (Kastilien-Leon, Aragon, Navarra) wird jedoch inzwischen eine geringe Gebühr von etwa 5 EUR für die Übernachtung erhoben. Es gibt große Schlafsäle mit knapp 40 Betten (Doppelstock). Bei größerem Andrang werden weitere Säle aufgesperrt. Es ist jedoch kein Personal in der Herberge. Nur von 9 bis 13 Uhr wird zugesperrt. Auf diese Weise wird man zum Weiterziehen genötigt, denn man darf nur eine Nacht bleiben, und eine Ankunft vor 13 Uhr ist sinnlos, denn erst danach kann man die Betten belegen, was im Sommer zu Verteilungskämpfen führt. - In der ersten Nacht in der Pilgerherberge gab es viel Platz, nur sechs Übernachtungsgäste. Mitten in der Nacht - morgens um halb acht; es wird dort Mitte Februar erst gegen halb neun Uhr hell - wurde automatisch die grelle Deckenbeleuchtung eingeschaltet.

Decken gibt es - wenn überhaupt - nur einige wenige; es wird erwartet, dass man einen Schlafsack dabei hat, was bei mir nicht der Fall war. Dies war auch der Grund, weshalb ich am nächsten Tag abends um halb sechs - um sieben wurde es dunkel - von der Herberge in Mélide zur nächsten Herberge in Arzúa weiterziehen musste, die drei Stunden entfernt war. So kamen an diesem Tag immerhin 56 km zusammen. Eigentlich nichts Besonderes, denn man sollte durchaus am Tag so viele Kilometer zu Fuß zurücklegen können, wie man Jahre auf dem Buckel hat. Mit zunehmendem Alter wird dies allerdings immer beschwerlicher.

Am Folgetag waren es noch 42 km bis Santiago. Der Weg läuft manchmal längere Strecken an vielbefahrenen Straßen entlang. Schließlich handelt es sich nicht um einen Wanderweg, wo man doch sagt, der Weg sei das Ziel, sondern um einen Zugang zum Pilgerziel. Früher mussten die Pilger auch wieder zu Fuß zurückkehren. Heute macht dies kein Mensch, und so ist der Jakobsweg für die Pilger ein Einbahn-Wanderweg, was zur Folge hat, dass keine Pilger entgegenkommen, allenfalls Einheimische, gelegentlich auch mal die berittene Polizei, wie mir berichtet wurde. In der Umgebung von Santiago durchquert man auf längere Strecken Eukalyptuswälder. Vom ökologischen Standpunkt sind diese bedenklich, da sie einheimischen Tieren keinen Unterschlupf gewähren und weil sie wegen ihres hohen Harzgehaltes die Waldbrandgefahr erhöhen.

Gerade die letzten Kilometer des Jakobsweges sind einigermaßen beschwerlich. Die Nähe der Stadt kündigt sich dadurch an, dass man um die Startbahn des Flughafens herumlaufen muss. Später durchquert man die umfangreichen Anlagen des Galizischen Fernsehens, bis man endlich den Monte Gozo erreicht, den Berg der Freude, von wo aus man angeblich erstmals die Türme der Kathedrale erblicken kann, was mir jedoch nicht gelungen ist. Auf dem Monte Gozo befindet sich eine etwas heruntergekommene riesige Anlage zur Unterbringung von Pilgern. Diese wurde anlässlich eines Papstbesuches angelegt und nennt sich jetzt "Ciudad de Vacaciones", Ferienstadt. Die Ferien wollte ich dort aber nicht verbringen. Einer der etwa 30 Pavillons dient als Pilgerherberge. Hier gibt es auch Personal. Mit Pilgerausweis ist die erste Nacht kostenlos. Von dort aus sind es noch etwa 5 km durch die Vorstädte bis ins Zentrum. Da ich lieber dort übernachten möchte, marschiere ich abends um sechs noch weiter und hole mir am Abend im Pilgerbüro meine "Compostela" ab, die Bestätigung der Pilgerschaft zum Grab des Heiligen Jakobus. Diese wird erteilt, wenn man mindestens 100 km weit zu Fuß (oder 200 km mit Fahrrad oder Pferd) gepilgert ist. Im Pilgerbüro saßen drei Mitarbeiter vor ihren Computern, und ich habe mein Zertifikat ohne Wartezeiten bekommen. Neulich kam in der Zeitung ein Bericht von einer Familie mit Säugling und Kleinkind, welche aus dem Nürnberger Raum 2700 km weit nach Santiago gewandert sind, auf die Compostela aber verzichtet haben, weil die Schlange vor dem Pilgerbüro 200 m lang war! Im Sommer soll es Tage geben, an denen 3000 Urkunden ausgestellt werden. - Am nächsten Tag geriet ich nach dem Museumsbesuch - ermäßigter Eintritt für Pilger - zufällig in die Pilgermesse um 12 Uhr. Darin werden die Pilger verlesen, welche am Vortag die Compostela erworben haben. An diesem Tag war darunter auch "un Alemán desde Sarría" - ein Deutscher ab Sarría.

So habe ich nach einem Fußmarsch von lediglich zweieinhalb Tagen meine "Compostela" erhalten. Von einem Landsmann bin ich dafür zu Recht gescholten worden. Es sei nicht der Sinn des Jakobsweges, dass man diesen in möglichst kurzer Zeit hinter sich bringt, sondern dass man zu sich selber findet.

Als einsichtiger Pilger habe ich nun vor, zur Buße noch weitere Abschnitte des Jakobswegs zu erwandern. Warten wir's ab, ob ich dabei zu mir selbst finde!

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