S-Bahn-München: Zweite Stammstrecke / Flughafenanbindung

  In der Diskussion um eine zweite Stammstrecke für die Münchner S-Bahn standen bisher (Februar 2010) als Alternativen nur die Amtsplanung - zum bestehenden ein weiterer paralleler Tunnel mit weniger Stationen - sowie der Ausbau des Südrings zur Debatte. Von der CSU-Landtagsfraktion wurde im Dezember 2009 durchgesetzt, dass auch der als Nordtunnel bezeichnete Entwurf des Münchner Ingenieurbüros Vieregg-Rößler zusätzlich bewertet wird; dieser sieht eine fernbahntaugliche Streckenführung vom Hauptbahnhof über Schwabing (Münchner Freiheit) nach Neufahrn bei Freising vor.

  Der Südring stellt sicher nicht die optimale Ergänzung der bestehenden Stammstrecke dar. Die Bahnlinie existiert jedoch bereits, und nach dem gesunden Menschenverstand sollte es eigentlich billiger sein, diese Strecke mit mehr oder weniger großem Aufwand für zusätzlichen S-Bahn-Betrieb zu ertüchtigen, als komplett einen neuen Tunnel unter den zentralen Stadtteilen von München zu bauen. Das gemeinsam von der Stadtverwaltung sowie dem Bayerischen Verkehrsministerium bestellte Gutachten hat jedoch erwartungsgemäß „bewiesen", dass der geplante Tunnel kaum teurer kommt, aber ein größeres Fahrgastpotential hat. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, erfolgte die bessere Bewertung des Tunnels unter der Einbeziehung von Regionalzügen, welche durch den Tunnel fahren sollen. Dafür ist der Tunnel bezüglich der Bahnsteighöhen und Krümmungsradien aber überhaupt nicht ausgelegt, worauf der Münchner CSU-Stadtrat Dr.Georg Kronawitter hingewiesen hat.

  In dem Gutachten wurden jedoch lediglich zwei Varianten verglichen; mit dem Nordtunnel kommt noch eine dritte ins Spiel; diese hat jedoch den „Schönheitsfehler", dass sich damit die gewünschte zusätzliche Verbindung zwischen Haupt- und Ostbahnhof nicht ergibt, was eigentlich der Anlass war für die Planung eines zweiten Stammstreckentunnels.
  Bereits vor zwei Jahren, noch vor dem „Aus" für die Transrapid-Strecke zum Flughafen, habe ich eine alternative Streckenführung für den zusätzlichen Tunnel vorgestellt. - Da jetzt auch eine schnellere Verbindung zum Flughafen auf der Tagesordnung steht, habe ich den Vorschlag von 2008 weiterentwickelt.

  Dieser sieht eine Tunnelstrecke vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof vor mit den Zwischenstationen Maxvorstadt (Türkenstraße, bei der Pinakothek der Moderne), Universität, Tucherpark (Max-Joseph-Brücke) und Prinzregentenplatz. Am Tucherpark zweigt eine Strecke ab nach Johanneskirchen, wo die Strecke vom Ostbahnhof zum Flughafen (S 8) erreicht wird; evtl. mit den Zwischenstationen Richard-Strauss-Straße sowie im Bereich Cosimabad / Fideliopark. - Der Tunnel vom Hauptbahnhof nach Johanneskirchen wird so ausgelegt, dass er auch von Regional- und Fernzügen befahren werden kann. - Auf diese Weise ergibt sich eine Verbindung vom Hauptbahnhof zum Flughafen nahezu auf dem denkbar kürzesten Weg.
Vom Hbf über Tucherpark zum Ostbahnhof bzw. zur Flughafenstrecke nach Johanneskirchen

  Ostbahnhof:
  Die aus Giesing kommenden S-Bahnen benutzen am Ostbahnhof die Gleise 2 und 3, wie dies bis 2004 der Fall war. Von dort geht es ohne Fahrtrichtungswechsel in nordöstlicher Richtung zum neuen Tunnel. Der S-Bahn-Betrieb wird ausschließlich (solange der Südring nicht bedient wird) auf den Gleisen 1 bis 4 abgewickelt. Am einen Bahnsteig (Gleis 1 und 2) kann zwischen den Zügen Richtung Hauptbahnhof (über Marienplatz oder Tucherpark), am anderen (Gleis 3 und 4) Richtung stadtauswärts umgestiegen werden. Im Störungsfall kann durch Kopfmachen, wie dies derzeit bei den S-Bahnen des Giesinger Linienastes erfolgt, auf die andere Strecke gewechselt werden. Signaltechnisch und bei der Bahnstromversorgung werden die Gleise, die zum vorhandenen bzw. zum vorgeschlagenen Tunnel führen, völlig unabhängig voneinander betrieben, damit nicht ein Stellwerksausfall beide Stammstrecken lahmlegen kann. Betrieblich handelt es sich beim Halt am Ostbahnhof um einen gemeinsamen Haltepunkt zweier unabhängiger Linien. Im Normalbetrieb brauchen dort keinerlei Weichen gestellt zu werden.

  Marienplatz:
  In der Amtsplanung wird der Halt am Marienplatz als unverzichtbar und dessen Auslassung als K.o.-Kriterium für den Südring gewertet. Der Marienplatz ist jedoch bereits bestens durch Schnellbahnen erschlossen. Und wer am Flughafen ankommt, der will in der Regel zunächst zum Quartier oder zum Geschäftstermin, nicht aber unmittelbar zum Glockenspiel am Marienplatz. Der Anteil der Fluggäste, die am Marienplatz aus der S 1 oder S 8 aussteigen und sich dann nicht zur U-Bahn, sondern zur Oberfläche begeben, dürfte gering sein.

  Neufahrner Gegenkurve:
  Als Patentlösung für die Bahnanbindung Ostbayerns an den Münchner Flughafen hat das Bayerische Wirtschaftsministerium jetzt die sogenannte Neufahrner Gegenkurve entdeckt, welche einen Übergang ohne Kopfmachen ermöglicht von der Bahnstrecke vom Flughafen nach Neufahrn zur Bahnstrecke von Neufahrn nach Freising. Dies ist allerdings mit einem erheblichen Umweg verbunden, und die Trassierung erinnert eher an die Lokalbahn von Grafing Bahnhof nach Ebersberg als an die einer Hauptbahn. Auch das Bedienungskonzept ist sehr problematisch. Vom Fahrgastaufkommen zwischen Landshut und München haben bestenfalls 10 Prozent den Flughafen als Ziel, die große Mehrheit aber will in die Stadt. Folglich lohnt es sich kaum, aus Richtung Landshut über die Neufahrner Gegenkurve eine dichte Zugfolge anzubieten. Für diese Züge ist der Flughafen eine Sackgasse. Dies erinnert in fataler Weise an die A92 von Deggendorf nach München, welche auf München zu, aber nicht in die Stadt hineinführt.

  Eine zukunftstaugliche Lösung zur Anbindung von Ostbayern kann nur in einer zügigen Weiterführung vom Flughafen in Richtung Nordosten bestehen, auch nicht über die Marzlinger Spange, sondern in möglichst gestreckter Linie. Vom Flughafen geht es nach Nordosten, weiter entlang der Flughafentangente Ost und jenseits der A92 an der schmalsten Stelle der Isarauen zwischen den Ortschaften Winkham und Oberhummel (Gde.Langenbach). Beim Moosburger Ortsteil Thonstetten wird dann die Bahnlinie Freising - Moosburg erreicht.
Bei dieser Linienführung ist auch keine Untertunnelung der projektierten 3.Startbahn erforderlich.
Entlang der Flughafentangente Ost zur Bahnstrecke Freising - Moosburg


  Betriebskonzept Flughafenanbindung:
  Am Münchner Flughafen landen die Flugzeuge im Minutenabstand, und dementsprechend gibt es einen kontinuierlichen Strom ankommender Passagiere. Wenn man nach dem Verlassen des Sicherheitsbereiches nicht in angemessener Zeit weiterfahren kann, wird die Nutzung der Bahn als Verkehrsmittel zur Weiterfahrt vom Flughafen unattraktiv. Dies bedeutet umgekehrt, dass ein möglichst dichter und gleichmäßiger Takt auf den Flughafenstrecken angeboten werden sollte, dazu noch kurze Fahrzeiten.
  Dies kann erreicht werden mittels Durchbindung der mindestens stündlich verkehrenden Regionalexpress (RE)-Linien:

  • Augsburg - München Hbf - Flughafen - Landshut - Passau
  • Buchloe - München Hbf - Flughafen - Erding - Walpertskirchener Spange - Mühldorf
  • Garmisch-Partenkirchen - München Hbf - Flughafen - Landshut - Regensburg

Zusätzlich können Fernverkehrszüge vom Hbf zum Flughafen verlängert und auch weitergeführt werden (Richtung Salzburg - Wien / Villach / Graz).
  Die Fahrzeit ohne Halt zwischen Hauptbahnhof und Flughafen entspricht der derzeitigen Fahrzeit vom Hbf nach Freising, also knapp über 20 Minuten. Die Bahnentfernung zwischen München und Landshut verkürzt sich um etliche Kilometer, da der jetzige Umweg über Laim entfällt. Dies führt zu erheblichen Einsparungen.

  Betriebskonzept Tunnelstrecken:
  Zusätzlich zu den Regional- und Fernzügen verkehrt im Tunnel zwischen Hauptbahnhof und Johanneskirchen mindestens eine S-Bahn-Linie. Dadurch ergibt sich eine direkte Verbindung vom Flughafen zu den bedeutenden Hotel- und Bürostandorten am Arabella- und am Tucherpark.
  Im Streckentunnel Richtung Ostbahnhof verkehrt zusätzlich zu den beiden Giesinger Linien mindestens eine weitere (mit Endstation in Giesing), damit auch dort ein dichter Takt angeboten werden kann (mindestens alle 10 Minuten).
  Zwischen Hauptbahnhof und dem Verzweigungsbahnhof Tucherpark ist ein eigenes Gleispaar für den Regional- und Fernverkehr erforderlich, am einfachsten wohl durch einen doppelstöckigen Tunnel. Wenn man dies konstruktiv vorsieht (Deckelbauweise), kann das untere Geschoß auch nachträglich ausgebaut werden.

  Bedienung von Freising:
  Sämtliche Regionalzüge zwischen Landshut und München verkehren nicht mehr über Freising, sondern über den Flughafen. Im Gegenzug wird die S1 verlängert von Freising bis Moosburg oder gar nach Landshut; dort müsste man dann in Richtung Freising umsteigen. Andere Kreisstädte in der Region München werden auch nicht besser bedient; Starnberg, Fürstenfeldbruck und teilweise auch Dachau werden vom RE ohne Halt durchfahren.
  Die S-Bahn bedient sämtliche Stationen zwischen Moosburg und Neufahrn bei Freising; dort wird am selben Bahnsteig eine wechselseitige Umsteigemöglichkeit zur S-Bahn eingerichtet, welche vom Flughafen kommt. Das zeitaufwändige und störungsanfällige Flügeln der Züge in Neufahrn entfällt, auch das Risiko der Fahrgäste, im falschen Zugteil zu sitzen. Die aus Freising kommende Bahn fährt als Expresszug weiter, während der vom Flughafen kommende Zug die Unterwegshalte bedient. - In Neustift bei Freising wird ein neuer Haltepunkt eingerichtet. - Die derzeitige S 1 von Neufahrn zum Flughafen wird nach Fertigstellung der Verlängerung nach Erding durchgebunden mit der S-Bahn von Erding nach München.
  Durch den Wegfall der Regionalzüge zwischen Freising und München wird diese Strecke wesentlich weniger von Verspätungen betroffen (die S 1 gilt als die störanfälligste aller Münchner S-Bahn-Linien), und es kann auch dort der 10-Minuten-Takt eingeführt werden.

  Kosten:
  Die vorgeschlagenen Tunnelstrecken vom Hauptbahnhof zum Ostbahnhof bzw. nach Johanneskirchen haben eine Gesamtlänge von ca.11 km, sind also deutlich länger als die 4.5 km vom Ostbahnhof zum Hauptbahnhof auf der direkten Streckenführung. Dies ist jedoch nur ein Bruchteil der Tunnelstrecken, welche beim Projekt Stuttgart 21 vorgesehen sind, und auch beim Münchner Transrapid-Projekt waren etliche Kilometer Tunnelstrecke eingeplant. Der Streckenverlauf mit den neuen Bahnhöfen führt zu neuen Direktverbindungen; die damit verbundene Zeitersparnis der Fahrgäste führt zu einem höheren Fahrgastpotential und dies wiederum zu einem verbesserten Wert bei der Standardisierten Bewertung, welche das Kosten-/Nutzen-Verhältnis ausdrückt. - Ausserdem macht die vorgeschlagene Variante folgende Projekte überflüssig:

  • - viergleisiger Ausbau und Verlegung in einen Tunnel zwischen Daglfing und Johanneskirchen (S 8, Projekt MAEX)
  • - dasselbe für die Strecke Laim - Moosach - Neufahrn bei Freising (S 1)
  • - Verlängerung der U4 vom Arabellapark nach Englschalking

Die beiden Äste vom Verzweigungsbahnhof Tucherpark nach Johanneskirchen ( - Flughafen) bzw. zum Ostbahnhof können unabhängig voneinander, also auch in zeitlichem Abstand, realisiert werden.

  Fazit:
  Bisher gab es in München keinen nennenswerten Widerstand gegen neue U-Bahn-Projekte. Bei der Amtsplanung zur zweiten Stammstrecke ist dies ganz anders. Nach weit verbreiteter Ansicht steht der Aufwand dafür in keinem vernünftigen Verhältnis zum zusätzlichen Nutzen; die betroffenen Stadtviertel - vor allem Haidhausen - werden nicht einmal mit einer zusätzlichen Haltestelle bedient, und der projektierte Tunnel bringt keinerlei neue Verknüpfungen.
  Bei der vorgelegten Linienführung werden mit dem Tucherpark und dem Fideliopark Stadtteile neu ans Schnellbahnnetz angeschlossen. Durch neue Direktverbindungen gibt es teilweise erhebliche Fahrzeiteinsparungen. Der Verlauf über Maxvorstadt und Universität entlastet die in diesem Bereich mit Kapazitätsproblemen konfrontierten Linien U3/U6 sowie die Tram 27. Auch die Besucher der Allianz-Arena können diese (kürzere) Strecke benutzen. Es führt auch zur Beendigung der fahrgastunfreundlichen Situation, dass die S-Bahn am Ostbahnhof Richtung Marienplatz von verschiedenen Bahnsteigen aus abfährt.
  Als kurzfristige Lösung für eine Rückfallebene bei Störungen auf der Stammstrecke kann der Südring in Betrieb gehen. Wenn man die im Berufsverkehr zusätzlich angebotenen Züge am Ostbahnhof enden lässt, kann dort die S-Bahn im 10-Minuten-Takt verkehren, zunächst nur als Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen Ostbahnhof und Pasing, später können dann weitere Bahnhöfe und eigene Gleise in Betrieb gehen. Somit bleibt genügend Zeit für die Umplanung der projektierten Tunnelstrecke.

verwendetes Kartenmaterial: MVV-Netzpläne
Wolfgang Fischer, 81541 München (Februar 2010; zuletzt aktualisiert: 02.02.2010) wf@wrfm.de