Nachdem die DB Projektbau im Dezember 2007 mit geänderten Plänen für den östlich der Isar gelegenen Abschnitt der geplanten zweiten S-Bahn-Stammstrecke herausgerückt ist, bin ich als Anlieger der Giesinger Strecke überhaupt nicht davon begeistert, in Zukunft für die Fahrt Richtung Gasteig und Isartor am Ostbahnhof ähnlich umständliche Umsteigewege zurücklegen zu müssen wie zwischen S-Bahn und U5.
Durch diese Planänderung ändert sich überhaupt nichts am Hauptkritikpunkt der zweiten Stammstrecke, nämlich dass dadurch keinerlei neue Verbindungen geschaffen werden und der durch Wegfall einiger Zwischenhalte erzielte geringe Zeitvorteil wieder durch lange Zugangswege zu den tiefliegenden Stationen aufgezehrt wird. Deshalb ist die Planung bei der Standardisierten Bewertung, d.h. der Ermittlung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, zunächst einmal durchgefallen.
Unter dem Begriff „Stammstrecke" versteht man einen Streckenabschnitt, welcher von mehreren Linien gemeinsam benutzt wird. Bei der Münchner U-Bahn gibt es drei Stammstrecken (gemeinsame Abschnitte von U1/U2, U3/U6 und U4/U5). Davon führt nur die Stammstrecke der U3/U6 über den Marienplatz. Um so weniger ist nachvollziehbar, weshalb die vorgesehene zweite Stammstrecke der S-Bahn unbedingt über den Marienplatz (bzw.Marienhof hinter dem Rathaus) führen muss.
In Hamburg gibt es seit den frühen Siebziger Jahren eine zweite Stammstrecke der S-Bahn zwischen Hbf und Altona. Dort hat man jedoch sinnvollerweise zwecks Erschließung von Stadtteilen eine völlig andere Linienführung als diejenige der vorhandenen Verbindungsbahn über Dammtor gewählt. - In Berlin gibt es zwischen Westkreuz und Ostkreuz sowie zwischen Südkreuz und Gesundbrunnen jeweils sogar drei S-Bahn-Strecken, nämlich eine Linie über den Hauptbahnhof sowie die Fahrt auf der Ringbahn im Uhrzeiger- oder Gegenuhrzeigersinn. - In München ist man dagegen die Planung einer weiteren Stammstrecke allein unter Gesichtspunkten der Kapazitätsausweitung angegangen, so wie man die Kapazität einer Autobahn durch Anbau einer zusätzlichen Spur erhöht. Da der Tunnel jedoch komplett neu gebaut werden muss, liegt es nahe, dass man zusätzlich zur Kapazitätserweiterung auch die Vernetzung verbessern kann.
Im Kartenausschnitt habe ich eine Linienführung eingezeichnet, die meiner Ansicht nach mehr Nutzen bringt. Die Linienführung ergibt sich aus folgenden Zwangspunkten:
Die S-Bahn aus Giesing hält am Ostbahnhof am selben Bahnsteig (Gleis 2), an dem die Züge Richtung Hauptbahnhof über Marienplatz abfahren (Gleis 1); stadtauswärts auf Gleis 3 Richtung Giesing und auf Gleis 4 Richtung Leuchtenbergring. Man kann dann ohne Bahnsteigwechsel bequem zwischen den beiden Stammstrecken umsteigen. Im östlichen Vorfeld des Ostbahnhofs taucht die Strecke in den Tunnel ab und wird bis zum Hauptbahnhof weiter im Linksverkehr betrieben. Folgende Bahnhöfe sind vorgesehen:
Am Hauptbahnhof stelle ich mir für die S-Bahn eine ähnliche Lösung vor wie beim U-Bahnhof Plärrer in Nürnberg. Dort liegen die Bahnsteige übereinander. In dieselbe Richtung (z.B. nach Westen) kann am selben Bahnsteig umgestiegen werden, bei Richtungswechsel muss man nur eine einzige Treppe überwinden. - Die S-Bahn liegt im Hauptbahnhof in Ebene -2, die U1/U2 in Ebene -4. In Ebene -3 wäre Platz für einen weiteren Bahnsteig der S-Bahn. Derzeit wird die Ebene -3 als Fußgängergeschoß für den Übergang zwischen S-Bahn und U1/U2 benötigt. Dieser Zwang kann entfallen, wenn die mittleren Gleise im U-Bahnhof dichtgemacht werden (bzw.Kopfgleise für Zusatzverkehr Richtung Messe). Dort, wo jetzt die U-Bahn-Gleise Richtung Königsplatz verlaufen, kommen dann die Treppen, Rolltreppen und Aufzüge von den beiden übereinanderliegenden Bahnsteigen der S-Bahn an, quer zum Bahnsteig der U-Bahn. Ähnliche Übergänge gibt es am Sendlinger Tor und auch am Marienplatz. Die U-Bahn Richtung Königsplatz hingegen wird unmittelbar nördlich vom Hauptbahnhof an die aussenliegenden Gleise angeschlossen, die derzeit von der U1 benutzt werden.
Am Hauptbahnhof liegen die Gleise für die Stammstrecke Nord in und aus Richtung Universität übereinander, jeweils auf der nördlichen Bahnsteigseite; auf der südlichen Bahnsteigseite liegen die Gleise Richtung Marienplatz. Somit kann die Kurve Richtung Pinakotheken - Universität unmittelbar am östlichen Bahnsteigende beginnen; es wird also kein Überwerfungsbauwerk mit entsprechender Längenentwicklung benötigt. Beim Zusammenführen der übereinanderliegenden Gleise zu einer zweigleisigen Strecke östlich vom Hauptbahnhof erfolgt die Weiterfahrt im Linksverkehr.
Als Ausbauvariante kann an einen Tunnel zwischen Pinakothek und Münchner Freiheit gedacht werden. Damit wäre für Zwei-System-Fahrzeuge (im Einsatz z.B. zwischen Stade und Hamburg) eine Direktverbindung vom Hbf zur Allianz-Arena geschaffen. Dies war vor einiger Zeit von der MVG so vorgeschlagen, aber zunächst wieder verworfen worden. Evtl. kann am Stachus ein Gleisübergang von der U4/U5 zur Stammstrecke Nord eingerichtet werden. Der folgende Streckenabschnitt bis Pinakothek müsste dann für beide Bahnsysteme (S-Bahn und U-Bahn) eingerichtet werden, d.h. zusätzliche Stromschiene und Signaltechnik der U-Bahn.
Die Streckenlänge der Stammstrecke Nord beträgt zwischen Hbf und Ostbahnhof 6.5 km; vorhandene Stammstrecke: 4.0 km. Da die Wendezeit am Ostbahnhof wegfällt, dauert die Fahrt von Giesing zum Hauptbahnhof trotz längerer Wegstrecke auch nicht länger als bisher. - Zum Beispiel macht auch die U-Bahn zwischen Giesing Bahnhof und Neuperlach Süd einen bedeutenden Umweg (6 Zwischenstationen, 6.95 km) gegenüber der S-Bahn-Verbindung (4.85 km) zwischen diesen Bahnhöfen mit nur einer Zwischenstation. Trotzdem lohnt sich ein Umstieg auf die schnellere S-Bahn normalerweise nur dann, wenn man mit der S-Bahn über Neuperlach Süd hinaus weiter fährt.
Obwohl die Baukosten wegen der längeren Strecke möglicherweise höher ausfallen aus bei dem offiziellen Tunnelprojekt, könnte die vorgeschlagene Linienführung zu einer besseren Standardisierten Bewertung führen.
Betriebskonzept am Ostbahnhof:
Wenn man die mögliche Anbindung an den Südring ausser Acht lässt, reichen die Gleise 1 bis 4 für die S-Bahn aus und werden im reinen Richtungsbetrieb betrieben:
Störfallkonzept:
Kommt es zur Sperrung einer der beiden Tunnelstrecken, so können die Züge, soweit es die Kapazität zulässt, am Hauptbahnhof einfach in die nicht blockierte Strecke einfahren. Am Ostbahnhof geschieht dies durch Wenden am Bahnsteig, so wie es derzeit in der Relation von der Stammstrecke in Richtung Giesing durchgeführt wird.
Baudurchführung:
Falls im Hauptbahnhof wie vorgeschlagen eine zweite Ebene für die S-Bahn eingebaut werden kann, würde dies wegen der erforderlichen Baumaßnahmen mehrmals zu einer wochen- oder gar monatelangen Unterbrechung Betriebs der S-Bahn-Bahn sowie der U1/U2 führen. Möglicherweise würde der Zeitraum der Sommerferien für die Sperrung ausreichen. Zunächst müssten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass unter dem S-Bahn-Geschoß ein zweites Geschoß gebaut werden kann. Nach Fertigstellung wäre nach ein oder zwei Jahren nochmals eine Sperrung zur Anpassung der Anbindung notwendig.
Betriebskonzept:
Die über Giesing verkehrenden Linien werden über die Stammstrecke Nord geführt, zusätzlich eine der derzeit am Ostbahnhof endenden Linien (S1 nach Freising/Flughafen bzw. S7 nach Wolfratshausen). Diese Linie hat dann ihren Wendebahnhof in Giesing. Auf der alten Stammstrecke verbleiben vier, auf der neuen drei S-Bahn-Linien. Dadurch gibt es genügend Reserven für Taktverdichtungen oder für zusätzliche Linien, z.B. getrennte Linien über Neufahrn nach Freising und zum Flughafen.
Bei drei Linien im 20-Minuten-Grundtakt auf einer Strecke kann man eine gleichmäßige Zugfolge im Zugabstand von 6 bzw. 7 Minuten anbieten. Bei Verdichtung zum Zehn-Minuten-Takt passen die Verstärkerzüge (in Schrägschrift) in die Taktlücken, z.B. Abfahrt zur Minute
00 (S5) - 03 (S7) - 06 (S6) - 10 (S5) - 13 (S7) - 16 (S6) - 20 (S5), usw.
Vorteile / Nachteile im Vergleich zur offiziellen Planung:
Wolfgang Fischer, 81541 München (Februar 2008; zuletzt aktualisiert: 08.08.2008) | wf@wrfm.de |